«Niemand will ein kleines Reh leiden sehen»

Bio-Bauer Andrin Hunkeler

Sonntagsblick vom 16.06.2024, Katja Richard Text und Siggi Bucher Fotos

Andrin Hunkeler (36) ist Bio-Bauer und Jäger im Oberfreiamt. Bevor er seine Felder mäht, lässt er die Fläche von der Rehkitzrettung mit Drohnen abfliegen.

Wenn im Mai und Juni gemäht wird, geraten Rehkitze, die sich im Feld verstecken, in tödliche Gefahr. Der Bio-Bauer Andrin Hunkeler (36) aus Sins AG im Oberfreiamt über den Konflikt zwischen Landwirtschaft und Wildtieren und warum ihm der Schutz der jungen Rehe wichtig ist.

Herr Hunkeler, wann mähen Sie?
Andrin Hunkeler: Gras ist nicht gleich Gras, es kommt drauf an, wann es reif ist. Je nach Wetter ist der erste Schnitt Mitte bis Ende April, danach ist das Gras circa alle fünf Wochen wieder reif zum Mähen. Ende Juni sind die allermeisten Rehkitze mobil und können flüchten. Vorher ducken sie sich bei Gefahr und können dabei vermäht werden.

Ist Ihnen das schon mal passiert?
Zum Glück nicht. Aber ich habe das in meiner Tätigkeit als Jagdaufseher schon erlebt, das ist kein schöner Anblick. Meist leben die Tiere ja noch, sind verletzt und schreien vor Schmerzen, bis sie verenden oder der Jäger sie erlöst. Das ist schrecklich und geht durch Mark und Bein. So was vergisst man nicht mehr. Niemand will ein kleines Reh so leiden und sterben sehen. Ich weiss, dass Landwirte, die das mal erlebt haben, nachher doppelt vorsichtig sind.

Seit wann kommen bei Ihnen Drohnen-Piloten von der Rehkitzrettung zum Einsatz?
Etwa seit drei Jahren. Früher hat die Jägerschaft die Felder vor dem Mähen verblendet. Mein Vater und ich sind beide Jäger. Uns liegt das Wohl der Wildtiere am Herzen.

Wie funktioniert das mit dem Verblenden?
Man steckt Stöcke ins Feld, mit einem Stück Stoff dran. Für die Rehgeiss bedeutet diese Markierung eine Veränderung, und sie wittert Gefahr. In der Regel holt sie ihr Junges dann aus dem Feld. Das Verblenden braucht aber viel mehr Zeit als der Drohnenflug. Und man ist nie ganz sicher, ob nicht doch ein Rehkitz im Feld ist.

Schützen die Bauern die Rehkitze aus Tierliebe oder sind sie dazu verpflichtet?
Kein Landwirt nimmt es einfach in Kauf, ein Wildtier zu töten. Zudem verwendet man das gemähte Gras als Tierfutter. Ein Kadaver im Tierfutter bildet bei der Konservierung Giftstoffe, die für Nutztiere tödlich sein können, Stichwort Botulismus. Das Gesetz verpflichtet uns, alles zu unternehmen, damit Tiere nicht leiden. Das Mindeste ist, dass der Bauer die Jägerschaft informiert, bevor er mäht.

Sind auch andere Tiere gefährdet beim Mähen?
Auch Katzen sitzen manchmal im Feld. Wenn ich neben einer Siedlung mähe, dann informiere ich vorher jeweils die Nachbarn, damit sie ihr Büsi im Auge behalten.

Gibt es eigentlich Wildtiere, die nützlich sind für die Landwirtschaft?
Grundsätzlich hat jedes Wildtier seine Berechtigung und ist für irgendetwas gut. Füchse zum Beispiel fressen viele Wühlmäuse. Aber böse gesagt, sind wir ein Stück weit auch Konkurrenten. Aber abgesehen von Wildschweinen sind die Schäden in der Landwirtschaft durch Wildtiere gering.


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Bio-Bauer Andrin Hunkeler holt ein Rehkitz aus dem Feld. Bild Andrin Hunkeler

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Die Wärmebildkamera der Drohne zeigt den Rehkitzrettern, wo die Rehkitze im hohen Gras liegen. Bild Sigi Bucher

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Eine Obstkiste, über dem Rehkitz platziert, schützt dieses vor dem Mähdrescher. Hier ein Einsatz im Knonaueramt ZH. Bild: Sigi Bucher

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Nachdem das Feld gemäht ist, kommt die Kiste wieder weg. Bild: Thomas Christen

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Tiere, die schon gross genug sind und die auf dem Arm des Jägers zappeln, lässt dieser los – sie fliehen aus der Gefahrenzone. Bild Siggi Bucher